Der Maler Friedrich Ludwig

Source: Weltkunst, 55. Jahrgang, Nr 15, 1. August 1985.

Einem im Chiemgau ansässigen Juristen, Verleger und Kunstsammler gelang es während der vergangenen Monate, einen erhebloichen Teil des künstlerischen Nachlasses des Malers Friedrich Ludwig (25. Oktober 1895 bis 22. Januar 1970) sicherzustellen und für eine eingehende Bearbeitung vorzunehmen.

Damit findet das Lebenswerk eines vergessenen Einzelgängers seine verdiente, wenn auch späte Würdigung. Ludwig lebte seit dem Zweiten Weltkrieg in und bei Berchtesgaden, unternahm noch einige Reisen in den Süden und nach Holland, bemühte sich jedoch nur in sehr geringem Maße um Ausstellungen und Verbindungen zum Kunsthandel, der damals in den fünfziger Jahren erst am bescheidenen Beginn seiner weit späten kumulierenden Entwicklung stand. Ludwig war ein im Umgang zeitweise sehr verschlossener, äußerst sensibler und eigenwilliger Künstler, den das Bewußtsein eigener Integrität und seine Auffassung von der Würde des Menschen schließlich immer mehr in die Isolation drängte. Wer ihm näher kam und die stachelige Schutzhülle seiner Abwehrhaltung zu durchdringen vermochte, erlebt ihn als einen ganz prächtigen Menschen, mit dem über Gott und die Welt, über Politik und Kunst stundenlang zu diskutieren war. Da war er überzeugt von der malerischen Qualität und Aussagekraft seiner Bilder, auch wenn er sich selbstkritisch äußerte und unzufrieden zu sein schien. Übermalungen und viele kleine Studien zeugen von der fortwährenden Arbeit am Motiv vor allem des Landschaftlichen. Ludwig wurde – nicht etwa aus Gefälligkeit – schließlich zu einem Maler des ihm umgebenden Hochgebirges. Da er sich um Verkäufe nicht kümmerte und es sogar rundweg ablehnte, gegen gutes Geld Bilder herzugeben, wenn ihm der Interessent nicht paßte, schenkte er fürs Notwendigste seiner späten Jahre zuweilen etwas her – vielleicht für ein Mittagessen und etwas zu Trinken. Er selber ließ sich gar nichts schenken. Lieber lebte er von alten Haferflocken.

Die Nachkriegszeit in Berchtesgaden war schwer für Ludwig. Seit den Jahren der Drangsalisierung während NS-Zeit und Krieg fühlte er sich in die Rolle des Sonderlings gedrängt, fuur den in dieser Welt kaum ein Platz sich bietete. Den Kampf ums tägliche Brot mied er lieber zugunsten der Arbeit draußen in der Landschaft und im Atelier.

Es wird berichtet, daß Ludwig Justi, der von 1909 bis 1933 die Berliner Nationalgalerie geleitet hatte, für 1934 eine Ausstellung von Bildern und Skizzen Friedrich Ludwigs im Münchener Kunstverein vorbereitet hatte und daß der damalige Gauleiter und Staatsminister Adolf Wagner die Eröffnung verhinderte. Wagner habe gedroht: „Wenn das Zeug bis morgen nicht von den Wänden ist, lasse ich es abhängen und im Hof mit Benzin übergießen.“

Für den damals 38jährigen Künstler, der sich nach Jahren des Lernens, Reisens und freien Arbeitens in Frankfurt, Florenz, Zürich, Berlin und Paris nun am Beginn einer wenigstens bescheidenen Karriere sah, war dies das Ende der Hoffnungen auf Hilfe und Reputation. Die Angst wuchs.

In der Zürcher Galerie Neupert, die sich auch nach dem Krieg an Ludwig erinnerte, hatte er 1935 eine Austellung, die zu dem Angebot an ihn führte, einen kostenlosen Aufenthalt in der Schweiz zu verbringen. Wieder kam es zur Ablehnung von etwas, was er als Geschenk oder als Kompensation nicht anzunehmen bereit war. Seit 1937 lebte Ludwig in Düsseldorf – doch auch hier gab es keine Möglichkeiten einer Ausstellung für ihn. Ein Freund mit Namen Karl Hofer – doch nicht der berühmte Berliner Maler – wollte Ludwig vor dem Krieg in die USA mitnehmen. Auch dies lehnte er ab. Er scheute den Wechsel in einen ganz anderen Lebensraum und den Verzicht auf Europa. Ludwig schiensich inzwischenmit seiner Außenseiterrolle abgefunden zu haben. Seine Bilder aus den dreißiger Jahren enthalten diesen persönlichen Ausdruck der Unabhängigkeit. Es gibt kein einziges Beispiel der versuchten Annäherung an den offiziellen Regierungsstil jener Zeit, kein einziges Zugeständnis an „die neue Richtung“ des Rückgriffs auf Romantik und 19. Jahrhundert – auch wenn weit bekanntere Künstler diesem „Zug der Zeit“ nicht zu widerstehen vermochten.

„Ludwig war ein geistvoller und überaus beweglicher, echter und begeisterungsfähiger Künstler“, erinnert sich der Zürcher Kunsthistoriker Dr. Werner Y. Müller. „Ein geborener Maler, der nur in Farbenträumen lebte und sich wie ein Kind an dem farbigen Wunder der Dinger immer und immer wieder erfreute.“ Doch wie Schmetterlingswunder seien seine Bilder „eigentlich fremd in dieser Welt und sie zählen bei rohen Menschen kaum“.

Immer wieder einmal habe Ludwig einen Anlauf genommen, einen Kunsthistoriker aufzusuchen, um ihn für seine Bilder interessieren zu können: „Es blieb leider zumeist beim Beschenktwerden durch ihn und bei Empfehlungen an einige Bekante und initiative Kunsthändler – und bei wundervollen Gesprächen über die Kunst und Schönheit.“

Werner Y. Müller kommt zu dem Schluß: „Er ist in eine schlecht Zeit hineingeboren worden und war zu kindlich, sich aus dem verbrecherischen Krieg herausreißen zu können. Nachher wurde er von der Nachkriegsgeneration, die auch leben wollte, zum alten Eisen geworfen. So war er immer im Tiefsten ein heimatloser Zugvogel – nirgends seßhaft als in seinen Künstlerträumen.“ Schon vor dem Krieg war Ludwig offenbar im Berchtesgadener Land anzutreffen.

Der jetzige Münchener Werbeunternehmer , „Insel-Film“-Produzent und Generalkonsul Norbert Handwerk kkannt Ludwig seit 1934. Er traf ihn wieder 1944 auf der Reichenau im Bodensee, wo Ludwig im Grenzdienst eingesetzt war, und 1969 zufällig auf der Straße in München. Im Juli war Otto Dix gestorben, und Handwerk suchte einen Künstler, der ihm anstelle von Dix nun die Weihnachtsglückwünsche malte. Ludwig lieferte ihm Pastelle aus Bayern – farbfrohe kleiner formate. Handwerk: „Ich kaufte auch dieses und jenes Bild von ihm, die ich aber fast alle verschenkte. Auch die PAstelle gingen als Glückwünsche, oder mit den Glückwünschen versehen, an gute Kunden hinaus… denn es waren kleine, liebenswürdige Arbeiten, die er relativ schnell schuf.

Während seiner letzten Lebensjahre genoss Ludwig den von Theodor Heuss geschaffenen „Ehrensold“ als Vergünstigung in wirtschaftlich dürftigen Verhältnissen. Er hatte 1955 noch einmal geheiratet – doch das Zusammenleben währte nicht lange. Die nervliche Belastung des entbehrungsreichen Lebens hatte zu gesundheitlichen einbußen geführt, die nun auch der Malerei hinderlich waren. Es gab Phasen, in denen er drei bis vier Wochen umgänglich war und sich halbwegs wohl fühlte – dann verkroch er sich wieder in Resgination und Umzugänglichkeit.

Friedrich Ludwig wurde am 25. Oktober 1895 als siebentes Kind einers Bauern im südlichen Schwarzwald geboren. Seine Eltern gaben ihn mit acht Jahren zu entfernten Verwandten auf einem Bauernhof, wo er als Kind harte Arbeit zu leisten hatte. Auf dem Speicher des hofes fand er alte Schriften, Bücher und Drucke, sah alte Kupferstiche, darunter Rembrandts „Drei Bäume“. Er fuuhlte sich seltsam erregt – und übte sich im Nachzeichnen. Es wuchs die Sehnsucht nach einem Dasein als Künstler. Doch der Vater erklärte: „Landschaftsmaler kann ich dich nicht werden lassen, dafür haben wir kein Geld. Aber Anstreicher kannst du werden.“ So kam er in der kleinen Stadt Schopfheim, im mittleren Wiesental, zu einem Meister in die Lehre. Alfred Kuhn, der Rektor der Gewerbeschule, wurde auf sein Talent aufmerksam und schickte Zeichnungen von ihm nach Karlsruhe zu PRof. Hofakker, der dem Schwarzwaldbuben daraufhin ein Stipendium für die Kunstgewerbeschule verschaffen wollte. Ludwig jedoch wollte kein fremdes Geld annehmen, er beendete seine Lehrzeit als Anstreichlehrling und ging kurz vor dem Krieg, der ihn dann nach Deutschland zuruuckzwand, zu einem Dekorateur nach Zurich.

Nach seinen vier Frankfurter Nachkriegsjahren, die ihm das Studium an der Städel-Schule ermöglichten, reiste Ludwig nach Italien, war beeindruckt durch die Begegnung mit dem Quattrocentristen, vor allem mit Piero della Francesca, erlebte dann in Paris zum erstenmal Cézanne und den Kubismus, studierte an der Académie Julian, kehrte jedoch zuruuck nach Zuurich und fuhr wieder nach Florenz. Im Berlin der ausgehenden zwanziger Jahre, wo er als Maler Fuß zu fassen versuchte, und in Paris wurde man allmählich auf Ludwig aufmerksam.

In seinen Bildern können ungreifbare Geistwesen aufsteigen. Verkantungen und Brechungen enthalten symbolhaft angedeutete Figuren, Schemen, Gesichter. Angeschnittene, ins Bild ragende Gestalten haben etwas Transitorisches, Unfestes, Wesentlich kompakter sind seine Einzelfiguren. Räumliche Weite und plastische Volumina bildeten fur Ludwig den Anlaß für eine Vielzahl von Bildern, die in der europäischen Kunst der Zeit nach Cézanne neben den deutschen Expressionisten den eingenen Weg des Einzelgängers bezeugen: eines Koloristen von hohen Graden, dessen Entdeckung nun nachzuholen ist. „Ich muß die Landschaft auf den Alatar heben“, pflegte er zu sagen. indem er Französisches und Deutsches ineinander wachsen ließ, wurde Ludwig in seiner Zeit zu einem Unzeitgemäßen, dessen Bedeutung eigentlich nur von Menschen erkant wurde, die Künstler waren und verwandten Geistes. Wer seine Bilder erwarb, lebt mit der Freude, die sie enthalten.

Reinhard Müller-Mehlis

Source: Weltkunst, 55. Jahrgang, Nr 15, 1. August 1985.